Ich gebe es ehrlich zu: Städtereise mit Kind im Buggy klang für mich lange nach einer absurden Idee. Kopfsteinpflaster, Treppen, Menschenmassen – und wir mittendrin mit Windelrucksack und Quetschie in der Hand? Nein danke. Aber wie so oft im Familienleben gilt auch hier: Es kommt auf den Blickwinkel an. Mit dem richtigen Tempo, einer Portion Gelassenheit und ein paar Tricks im Gepäck wird aus dem Trubel tatsächlich ein Abenteuer im Schneckentempo – mit überraschend vielen Glücksmomenten. Heute weiß ich: Wer sich auf das Buggy-Tempo einlässt, entdeckt eine Stadt auf eine ganz besondere Art.
Warum überhaupt Städtereise mit Buggy?
Ganz einfach: Weil auch Eltern Lust auf Kultur, Cafés und Stadtflair haben. Und weil Kinder nicht immer die Ausrede sein müssen, alles auf später zu verschieben. Ja, es läuft anders. Aber anders heißt nicht schlechter – nur ehrlicher, langsamer, intensiver. Und oft auch: lustiger.
Unser Sohn war knapp anderthalb Jahre alt, als wir unseren ersten Städtetrip wagten. Wir wollten raus, Neues sehen, aber eben im „Buggy-Tempo“. Und das hieß für uns: weniger ist mehr, Pause ist Programm – und der Kinderwagen kein Hindernis, sondern eine Einladung zur Entschleunigung. Statt To-do-Liste stand Lebensgefühl auf dem Plan.
Natürlich hatten wir auch Gedanken wie: „Was, wenn er die ganze Zeit quengelt?“ oder „Was, wenn wir nirgendwo reinkommen mit dem Wagen?“ Aber ganz ehrlich – diese Sorgen lösen sich meist auf, sobald man einfach losgeht. Nicht alles klappt, aber vieles wird besser, wenn man mit offenen Augen durch die Straßen rollt.
Vorbereitung ist die halbe Miete (aber nicht alles planbar)
Wir haben uns bewusst für eine Stadt mit guter Infrastruktur entschieden: viele Parks, gut ausgebauter Nahverkehr, nicht zu viele steile Anstiege – unsere Wahl fiel auf München. Das Tolle: Viele U-Bahnhöfe sind barrierefrei, es gibt jede Menge Cafés mit Wickelmöglichkeit und erstaunlich viele entspannte Menschen.
Unser Hotel lag zentral, aber ruhig – mit Fahrstuhl und Babybett, Frühstücksbuffet und freundlichem Personal. Vorab hatten wir uns zwei bis drei Tagespunkte vorgenommen, mehr nicht. Der Rest ergab sich von selbst – manchmal im wahrsten Sinne beim Windelnwechseln auf einer Parkbank oder beim unerwarteten Spielplatzfund um die Ecke.
Zusätzlich packten wir eine kleine „Notfall-Tasche“: Feuchttücher, Ersatzbody, ein paar Kekse, Trinkflasche, Sonnenhut, Mückenspray – alles griffbereit. Diese Tasche war unser Joker. Denn egal, was kam – mit Snacks und einem vertrauten Schnuffeltier war die Stimmung meist zu retten.
Ankommen, ausatmen, ab ins Getümmel (ganz langsam)
Der erste Tag diente zum Eingrooven. Nach der Zugfahrt und dem Check-in ging’s erstmal nur ums Ankommen. Ein kurzer Spaziergang, ein kleiner Spielplatz, ein schneller Espresso to go – das reichte. Die ersten Entdeckungen kamen quasi im Vorbeischieben: Ein Straßenkünstler, ein neugieriges Eichhörnchen im Park, ein Café mit Lego-Ecke.
Unser Buggy war dabei unser bester Freund. Stabil, wendig, mit großem Korb für Windeln, Snacks, Jacken, Spielzeug und dem „Notfallbuch“ (ja, das mit den Klappen zum Hochheben). Wichtig war für uns: ein Modell mit verstellbarer Lehne und genug Sonnenschutz – denn Pausen im Schatten waren Gold wert. Und das Regenverdeck? Kam an Tag zwei direkt zum Einsatz – willkommen in München.
Kleine Ziele, große Wirkung
Am zweiten Tag nahmen wir uns den Englischen Garten vor – aber nicht komplett. Wir starteten am Südende, liefen gemütlich bis zum Biergarten am Chinesischen Turm und machten unterwegs mindestens drei Pausen: Wickeln auf der Wiese, Füttern mit Aussicht und ein längerer Stopp am Wasser, wo Enten bestaunt wurden.
Unterwegs kamen wir an Straßenmusikern vorbei, an einer Entenfamilie auf Abwegen und an einem Eisverkäufer mit hausgemachtem Himbeereis – für unseren Sohn die Sensation schlechthin. Aus einem geplanten Spaziergang wurde ein halber Tag voller Mini-Abenteuer.
Wir haben gelernt: Ein Highlight pro Tag reicht vollkommen. Ob Museum, Zoo oder Aussichtspunkt – mit Buggy und Kleinkind ist das Drumherum oft spannender als das Ziel selbst. Eine steile Rolltreppe kann da schon zum Abenteuer werden. Oder eine Bushaltestelle mit vorbeisausendem Feuerwehrwagen. Und manchmal bleibt man einfach stehen, weil jemand Gänseblümchen entdeckt hat.
Essen unterwegs – zwischen Brezel und Brei
Essen mit Kleinkind in der Stadt? Klar, eine Herausforderung. Aber wir hatten Glück – und ein bisschen Vorbereitung. Unsere goldene Regel: Immer einen kleinen Snack für alle dabei haben. Kind isst Reiswaffeln, Eltern knabbern Nüsse. Kind will Banane, Eltern trinken Kaffee. Es geht ums Teilen, Anpassen, und ja – manchmal auch ums Schweigen, wenn der Löffel zum dritten Mal auf den Boden fällt.
Unser Lieblingsplatz war ein kleines Café mit großem Schaufenster. Während unser Sohn auf dem Schoß saß und Autos zählte, tranken wir Cappuccino und fühlten uns für zehn Minuten wie in einem Woody-Allen-Film. Manchmal reicht das.
Einmal haben wir uns Pizza to go geholt und uns einfach auf eine Treppe gesetzt. Picknick mitten in der Stadt – für uns ungewohnt, für unseren Sohn das reinste Abenteuer. Ein anderer Tag endete mit Apfelmus aus der Tube auf einer Parkbank – und wir Eltern schauten uns an und dachten: Genau so ist das Leben mit Kleinkind.
Der Buggy als Rückzugsort – und rollende Oase
Was wir vorher unterschätzt hatten: Der Kinderwagen war nicht nur Transportmittel, sondern ein Ort der Ruhe. Sobald der Kleine schlief, wurden wir plötzlich zu Touristen im Schnelldurchlauf. Wir flanierten durch Straßen, schauten in Schaufenster, machten Fotos – alles im Flüstermodus, mit Rücksicht auf den kleinen Mitfahrer.
Diese „Buggy-Schläfchen“ waren unsere Geheimwaffe. Manchmal drehten wir einfach noch eine Runde um den Block, nur damit er weiterschlafen konnte – und wir noch ein bisschen Zweisamkeit genießen durften. Auch das ist Städtereise mit Kind.
In diesen Momenten haben wir uns wieder als Paar erlebt. Wir redeten über andere Dinge als Windeln und Schlafphasen, hielten Händchen und lachten über das schräge Straßentheater in der Innenstadt. So wurde der Kinderwagen zur rollenden Pause für alle Beteiligten.
Spontane Momente statt starrer Plan
Klar, wir hatten vorher viel recherchiert: „Die besten Sehenswürdigkeiten mit Baby“, „Wo kann man stillen in München“, „Buggyfreundliche Cafés“. Aber am Ende waren es die ungeplanten Momente, die den Trip besonders machten.
Ein Straßenmusiker, der „Alle meine Entchen“ spielte. Ein verwunschener Hinterhof mit riesigem Kastanienbaum. Ein Brunnen, in dem plötzlich barfuß geplanscht wurde. Genau diese Szenen sind hängen geblieben – nicht die Sehenswürdigkeiten.
Einmal fanden wir in einem Innenhof eine kleine Puppenausstellung. Nicht geplant, nicht gesucht – aber mit großen Augen bestaunt. Oder das Malbuch, das wir aus Versehen doppelt einpackten und dann mit einem anderen Kind im Park tauschten – kleine Verbindungen, große Wirkung.
Rückzug statt Reizüberflutung
Nachmittage im Hotelzimmer? Früher unvorstellbar. Jetzt: purer Luxus. Wir legten uns zu dritt aufs Bett, lasen Bücher, sortierten Postkarten, spielten mit Bauklötzen. Kein Sightseeing, keine Termine – nur Ruhe. Und ganz oft dachten wir: Das hier ist genau richtig so.
Wir ließen das Fenster offen, hörten den Straßenlärm als Hintergrundmusik und unser Sohn erzählte Geschichten mit seinen Stofftieren. Wir bestellten uns Kaffee aufs Zimmer, legten die Beine hoch und tankten Energie für den Abend – oder auch nicht. Manchmal war das Highlight des Tages einfach nur der Moment, an dem alle gleichzeitig lachten.
Abschied mit Babycino und Herzklopfen
Am letzten Tag tranken wir im Bahnhof noch einen letzten Kaffee – und unser Sohn bekam seinen allerersten Babycino. Milchschaum mit Kakaopulver, serviert wie ein Großer. Er strahlte, wir auch.
Beim Einsteigen in den Zug war uns klar: Diese Art zu reisen ist nicht einfacher, aber erfüllender. Man sieht weniger, aber erlebt mehr. Man geht langsamer, aber erinnert sich länger. Und wenn man sich darauf einlässt, wird aus dem Buggy kein Hindernis – sondern ein Türöffner für eine neue Art zu reisen.
Unser Sohn schlief schon nach wenigen Minuten ein – müde, satt, zufrieden. Wir blätterten durch die Fotos auf dem Handy, schauten uns an und wussten: Das war nicht unser letzter Trip auf Rädern.
Fazit: Entschleunigt, erfüllt, empfehlenswert
Wer Städtereisen liebt, muss sie mit Baby nicht aufgeben – sondern neu denken. Es braucht Geduld, Humor, Flexibilität und gute Pausenplanung. Aber dafür bekommt man ein Wochenende voller echter Begegnungen, kleiner Wunder und ehrlicher Familienzeit.
Der Trubel der Stadt wird zur Kulisse, nicht zur Hauptrolle. Und wenn man es schafft, im Buggy-Tempo durch die Großstadt zu cruisen, ist man nicht langsamer unterwegs – sondern einfach näher dran am echten Leben. Vielleicht sieht man weniger Sehenswürdigkeiten. Aber man sieht mehr von dem, was zählt.
Also: Trau dich. Es lohnt sich.