Wenn ich ganz ehrlich bin: YouTube war für mich lange einfach ein Zeitfresser. Ein endloser Stream aus bunten Bildern, viel zu lauter Werbung und fragwürdigen Inhalten. Aber dann kam der Tag, an dem meine Tochter in der dritten Klasse beim Thema „Längeneinheiten umrechnen“ völlig verzweifelte. Ich googelte spontan ein Erklärvideo – und wir landeten bei einem Mathe-YouTuber, der es so erklärte, dass selbst ich dachte: „Ach so einfach ist das?!“
Seitdem ist YouTube fester Bestandteil unseres Lernalltags – aber mit Regeln, Ritualen und einem sehr genauen Blick auf das wie und was.
Warum YouTube als Lernhilfe immer beliebter wird
Früher war Nachhilfe ein Zettel am schwarzen Brett. Heute ist sie ein Video mit Daumen hoch. Millionen Kinder und Jugendliche nutzen YouTube inzwischen ganz bewusst für die Schule. Warum?
- Visuell und leicht erklärt: Viele Themen werden anschaulich mit Animationen, Bildern und Beispielen erklärt.
- Jederzeit verfügbar: Hausaufgabe vergessen? Thema verpasst? YouTube hilft spontan weiter.
- Vielfalt an Lernstilen: Ob ruhig, humorvoll oder super strukturiert – für jede*n ist etwas dabei.
- Motivation: Viele Kinder finden Videos einfach spannender als das Schulbuch.
Kurz gesagt: YouTube ist das digitale Pendant zur guten alten Nachhilfestunde – nur bunter, zugänglicher und oft sogar kostenlos.
Aber: YouTube ist kein Selbstläufer
Der große Haken? Die Plattform ist unreguliert. Zwischen wirklich tollen Lerninhalten tummeln sich auch Clickbait, Halbwissen und Inhalte, die alles andere als kindgerecht sind. Deshalb ist der wichtigste Tipp vorneweg: Niemals YouTube einfach laufen lassen. Kinder brauchen Begleitung, Einordnung und Auswahlhilfe. Gerade jüngere.
Was macht ein gutes Lernvideo aus?
Hier ein paar Punkte, auf die wir als Familie achten:
- Klarer, strukturierter Inhalt: Das Video sollte ein Thema Schritt für Schritt erklären.
- Altersgerechte Sprache: Keine Fachbegriffe ohne Erklärung, kein Rumgeschwafel.
- Visualisierung: Erklär-Grafiken, Zeichnungen oder Tafelbilder helfen beim Verstehen.
- Länge: Lieber 5 gute Minuten als 20 langweilige.
- Seriöse Quelle: Ist der Kanal vertrauenswürdig? Gibt es Impressum, klare Themenstruktur, regelmäßige Inhalte?
Unsere liebsten YouTube-Kanäle für Kinder (sortiert nach Alter)
Vorschulalter bis ca. 6 Jahre
- „Sing mit mir – Kinderlieder“: Fördert Sprache, Rhythmus, Mitmachen.
- „Checker Tobi“ (ausgewählte Clips): Sachwissen für Kinder, unterhaltsam aufbereitet.
- „Schauli“: Spielend lernen mit kleinen Geschichten und Erklärvideos für Jünge.
Grundschule
- „Die Merkhilfe“: Merksprüche, Lieder und Eselsbrücken für Mathe, Deutsch & Co.
- „Mathe by Daniel Jung Kids“: Mathe einfach erklärt, kindgerecht und kurz.
- „KinderWeltWissen“: Witzige Videos zu Geografie, Natur, Technik.
- „Mimi’s Lernwelt“: Sehr liebevoll gemachte Videos, ideal für jüngere Grundschulkinder.
Ab ca. 10 Jahren
- „Lehrerschmidt“: Der Mathe-YouTube-Star schlechthin. Klar, trocken, aber effektiv.
- „MrWissen2Go Schule“: Gesellschaft, Geschichte, Politik – fundiert und trotzdem leicht verständlich.
- „Deutsch mit Frau Annika“: Grammatik und Rechtschreibung für die 3.-6. Klasse mit Humor.
- „SimpleClub Junior“: Modern und animiert – allerdings eher ab 11 aufwärts.
Wie wir YouTube konkret in den Lernalltag einbauen
Wir haben zuhause eine einfache Regel: YouTube-Videos ersetzen nicht die Aufgabe, sondern erklären sie. Wenn unsere Tochter z. B. bei Sachkunde nicht weiterkommt, suchen wir gemeinsam ein passendes Video. Danach löst sie die Aufgabe selbst. Manchmal besprechen wir das Video auch direkt gemeinsam: „Was war neu für dich?“, „Was hast du verstanden?“, „Was war komisch?“
Oft hilft auch, sich nach dem Video etwas aufzuschreiben oder ein Bild dazu zu malen – so bleibt mehr hängen. Wichtig: Immer eine aktive Phase danach einbauen. Lernen heißt nicht nur zuschauen.
YouTube als Impulsgeber für Neugier
Manchmal nutzen wir YouTube gar nicht für ein konkretes Schulthema, sondern einfach, um Neugier zu wecken. Zum Beispiel:
- Wie funktioniert ein Vulkanausbruch?
- Warum sind Zebras gestreift?
- Wie kommt der Strom in die Steckdose?
Wenn Kinder einmal Feuer fangen, fangen sie auch an, Fragen zu stellen. Und genau dann ist YouTube Gold wert: als Einstieg, als Anregung, als Startpunkt für Gespräche und gemeinsame Recherchen.
Sicherheits- und Techniktipps für Eltern
YouTube hat leider keine Kindersicherung im eigentlichen Sinn. Aber es gibt ein paar Tricks:
- YouTube Kids App nutzen für Vorschul- und Grundschulkinder. Inhalte sind dort vorgefiltert (wenn auch nicht perfekt).
- Eigenes Nutzerprofil für dein Kind anlegen (z. B. auf dem Familien-Tablet).
- Autoplay deaktivieren, damit keine Inhalte nachrutschen, die du nicht willst.
- Verlauf prüfen und gemeinsam besprechen: „Was hast du dir angeschaut?“
- Gemeinsam gucken statt alleine daddeln lassen.
Technisch einfach, aber effektiv: Wir nutzen Bluetooth-Kopfhörer, aber nur in Begleitung. So kann ich mithören, was läuft – ohne ständig daneben zu sitzen.
Chancen und Grenzen von YouTube im Lernalltag
YouTube ist wie ein Werkzeugkasten. Wenn man weiß, welchen Schraubenzieher man braucht, kann es super funktionieren. Aber einfach nur blind drauflos schauen bringt selten etwas. Deshalb unser Familien-Fazit:
Chancen:
- Lernen wird bunter, flexibler, motivierender
- Kinder erleben Themen mit allen Sinnen
- Man findet Erklärungen, die im Unterricht zu kurz kamen
- Auch wir Eltern lernen dazu (ja, ehrlich!)
Grenzen:
- Ablenkung lauert immer (der Algorithmus kennt leider keine Lernziele)
- Nicht alles ist korrekt oder sinnvoll
- Passive Beschallung ersetzt kein echtes Lernen
- Ohne Einbettung bleibt wenig hängen
Tipps für die Praxis: So klappt’s mit YouTube als Lernhilfe
- Thema vorher festlegen: Nicht ziellos suchen, sondern gezielt „Wie erklärt man schriftliche Division“ eingeben.
- Kanal gemeinsam auswählen: Lerne dein Kind kennen: Mag es ruhig? Braucht es Witz? Will es visuelle Effekte?
- Video gemeinsam schauen: Wenigstens am Anfang. Später kann dein Kind eigene Empfehlungen machen.
- Pause-Taste nutzen: Nach jedem Abschnitt kurz reden: „Was hast du verstanden?“
- Aufgaben danach umsetzen: Kleine Übung, Skizze, Notiz oder Erklärung für die Geschwister.
- Selbst ausprobieren lassen: „Kannst du mir das Thema jetzt erklären?“
Und was ist mit Werbung, Influencern & Co.?
Leider ist YouTube auch Spielplatz für Werbetreibende. Viele Kanäle sind gesponsert, andere nutzen versteckte Produktplatzierungen. Auch das erklären wir unseren Kindern offen: „Nur weil jemand ein Produkt in die Kamera hält, heißt das nicht, dass es gut ist.“
Wir sprechen auch über Influencer, Hypes und Clickbait. Warum hat dieses Video so viele Aufrufe? Was macht ein gutes Video aus? Warum ist der Titel übertrieben? So wird YouTube nicht nur zur Lernhilfe, sondern auch zum Lerngegenstand.
Fazit: YouTube als Lernhilfe? Ja, aber mit Hirn & Herz
YouTube ist weder Teufelszeug noch Wundermittel. Es ist ein Werkzeug. Und wie bei allen Werkzeugen gilt: In guten Händen entsteht damit Großartiges. In schlechten nur Krach.
Wenn du mit deinem Kind gemeinsam auswählst, schaust, fragst und besprichst, wird YouTube zum echten Lernbooster. Und wer weiß: Vielleicht erklärt dir dein Kind bald selbst den Satz des Pythagoras – mit Verweis auf „diesen einen coolen Kanal“.